Leben mit Unsicherheit: Wie wir Halt finden, wenn nichts sicher ist

Kategorisiert in Burning Bright, Familie mit Behinderung
Frankfurt a.M. - Heiko Metz

Es war, als hätte jemand den Stecker gezogen. Direkt nach der Geburt unseres zweiten Sohnes war klar: Etwas stimmt nicht. „Schauen Sie mal“, sagte die Hebamme, „irgendwas passt da nicht.“ Ein Satz, der sich eingebrannt hat. Die ersten Untersuchungen brachten keine Klarheit, nur bange Fragen – und die düstere Prognose: Vielleicht würde unser Sohn nicht einmal die ersten Tage überleben.

Besonders hart traf es meine Frau. Sie konnte ihn nur kurz sehen, bevor er in ein anderes Krankenhaus verlegt wurde. Während ich vor der Intensivstation saß und wartete, fühlte sich alles an wie ein endloser Fall ins Bodenlose. Nur 30 Minuten nach der Geburt war alles ganz anders als erwartet, und unser frischgeborener Sohn war mit einem Ärzt:innen- und Sanitäter:innen-Team Richtung Intensivstation verschwunden.

Die Diagnose kam erst Monate später: Kabuki-Syndrom. Eine seltene Erkrankung, die unser Leben auf den Kopf stellte. Der Schock wich einer neuen Realität – einem Alltag voller Krankenhausbesuche, Operationen und Therapien.

Der Boden unter den Füßen verschwindet

Vielleicht kennst du solche Momente. Eine Diagnose, eine plötzliche Kündigung, ein Abschied, der zu früh kommt … Ich erinnere mich gut an die Stunden vor der Intensivstation, als ich nicht wusste, was uns erwartet. Es gibt Situationen im Leben, in denen nichts mehr sicher scheint. Wir dachten, wir hätten unser Leben unter Kontrolle – und dann zeigt sich: Das Fundament, auf dem wir stehen, ist nicht so stabil, wie wir dachten.

Mit der Zeit habe ich gelernt, dass Unsicherheit kein Zustand ist, der einmal endet. Sie gehört zum Leben dazu. Besonders als Eltern eines Kindes mit besonderen Bedürfnissen. Es gibt keine Pläne, auf die man sich wirklich verlassen kann. Keine Garantie, dass alles gut wird. Aber ich habe auch gelernt, dass Unsicherheit nicht nur Bedrohung ist – sie kann auch Verwandlung bedeuten.

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Der Umgang mit Unsicherheit: Von Kontrolle zu Vertrauen

Am Anfang wollte ich vor allem eins: Kontrolle. Ich wollte alles wissen, alles planen. Habe mich in Studien eingelesen, in Therapieoptionen und Prognosen. Ich dachte, wenn ich nur genug Informationen habe, dann würde die Unsicherheit verschwinden.

Aber Unsicherheit lässt sich nicht kontrollieren. Und irgendwann habe ich verstanden: Kontrolle bringt keinen Frieden. Sie ist nur Illusion. Und wenn ich ganz ehrlich zu mir selbst bin, weiß ich das auch. Was uns aber tatsächlich hilft, ist Vertrauen – ein Vertrauen, das nicht aus heiterem Himmel kommt, sondern das wir ganz konkret im Alltag üben können.

Drei Wege, wie wir trotz Unsicherheiten Halt finden können

Ich möchte dir drei Dinge mitgeben, die mir auf unserem Weg geholfen haben. Es sind keine magischen Lösungen, die die Unsicherheit verschwinden lassen, aber kleine Schritte, die den Umgang damit leichter machen – und Vertrauen schenken:

Das Heute annehmen, so wie es ist

Ich habe eines Tages aufgehört, ständig vorauszudenken. Weil es nichts verbessert, aber mich viel Kraft gekostet hat. Stattdessen frage ich mich immer wieder: „Was brauche ich heute? Was braucht meine Familie heute?“ Unsicherheit lebt in der Zukunft – aber wir leben im Jetzt. Und im Jetzt ist oft mehr Frieden, als wir denken. Das bedeutet nicht, die Probleme von morgen zu ignorieren. Aber es bedeutet, sich selbst zu erlauben, im Moment zu sein. Manchmal ist das Einzige, was du tun kannst, eine Tasse Kaffee zu trinken und tief durchzuatmen. Und das reicht dann auch.

Manche Tage sind leichter, andere schwerer. Doch wenn wir uns bewusst darauf fokussieren, was gerade geschieht, nehmen wir der Unsicherheit ein Stück ihrer Macht. Denn in diesem Moment, hier und jetzt, bist du einfach. Und es ist ganz wunderbar, dass du da bist.

Kleine Rituale schaffen

In Zeiten der Unsicherheit helfen Rituale. Ein kurzer Spaziergang am Abend. Eine Kerze anzünden. Einen Segen sprechen. Rituale geben dem Tag Struktur und dem Herzen Halt. Sie sind wie kleine Anker im Sturm.

Diese Rituale müssen nicht groß oder aufwendig sein. Sie sind wie kleine Steine, die im Sturm liegen bleiben. Es reicht schon, morgens für einen Moment innezuhalten, bevor der Tag losgeht. Ein kurzer Gedanke, wie: „Heute bin ich hier. Und das reicht.“ Oder abends den Tag bewusst abzuschließen mit den Worten: „Ich habe heute getan, was ich konnte. Morgen ist ein neuer Tag.“ Vielleicht auch das regelmäßige Treffen mit einer/m guten Freund:in und die Versicherung: „Ich bin geliebt.“ Denn: Du musst nicht alles alleine schaffen. Es gibt Menschen um dich herum. Und manchmal reicht es schon, die Hand eines anderen zu halten, um sich wieder etwas sicherer zu fühlen.

Auch körperliche Rituale helfen, dem Kopf Ruhe zu geben. Hände waschen, bewusst tief atmen, oder einen Stein in der Tasche tragen, den du bei Bedarf fest in die Hand nimmst. Es sind diese kleinen Gesten, die dir im Alltag Halt geben, wenn alles andere unsicher scheint.

Sich selbst Mitgefühl schenken

Vielleicht das Wichtigste: Seien wir freundlich mit uns selbst. Unsicherheit bedeutet Stress. Und in stressigen Zeiten brauchen wir keine harten Ansagen an uns selbst, sondern Ermutigung. Es ist okay, wenn nicht alles klappt. Es ist okay, Angst zu haben. Aber wir dürfen uns immer wieder sagen: „Ich tue mein Bestes. Und das reicht.“

Viele von uns haben gelernt, dass Leistung zählt. Dass wir nur wertvoll sind, wenn wir funktionieren. Aber das ist ein Trugschluss. Gerade in Zeiten der Unsicherheit brauchen wir keine zusätzlichen Erwartungen und kein zusätzliches Gewicht auf unseren Schultern.

Mitgefühl mit uns selbst bedeutet auch, Fehler zuzulassen. Es bedeutet, Pausen zu machen. Es bedeutet, sich selbst genauso zu behandeln, wie wir einen geliebten Menschen behandeln würden, der unsicher und erschöpft ist. Würdest du zu deinem besten Freund sagen: „Reiß dich zusammen!“? Wohl kaum. Warum also sagen wir es uns selbst?

Ein kleiner Satz, der mir oft hilft: „Es ist okay, nicht alles zu wissen. Es ist okay, noch unterwegs zu sein.“ Denn das sind wir alle. Und das wird auch so bleiben. Aber auf diesem Weg dürfen wir uns selbst immer wieder daran erinnern, dass wir genug sind. Genau so, wie wir heute sind.

Gott in der Unsicherheit finden

Wir alle brauchen etwas, das uns hält – sei es in uns selbst, in unseren Beziehungen oder in etwas Größerem. Für mich persönlich hat deswegen mein Glaube an Gott eine wichtige Rolle gespielt (und tut es noch). Nicht als einfache Antwort oder billiger Trost. Sondern als Raum, in dem ich meine Sorgen abgeben darf und mich verstanden fühle. Und geliebt. Als Erinnerung daran, dass ich nicht alleine trage. In der Bibel steht:

Ich bin bei euch alle Tage. (Die Bibel: Matthäus 28,20)

Dieser Satz begleitet mich besonders dann, wenn es ziemlich stressig, anstrengend und überfordernd zugeht in meinem Leben. Also ziemlich oft.

Unsicherheiten gehören zum Leben – und sie sind nicht das Ende.
Wenn ich heute auf die letzten Jahre zurückblicke, sehe ich nicht nur die Angst und die Unsicherheit. Ich sehe auch, wie viel wir gelernt haben. Wie sehr wir gewachsen sind. Unsicherheiten werden nie verschwinden – aber wir können lernen, mit ihnen zu leben. Und vielleicht sogar, in ihnen Vertrauen zu finden. In uns, die Welt, liebe Menschen und Gott.

Am Ende bleibt dieser Gedanke: Das Leben ist nicht sicher. Aber es ist lebenswert. Immer. Auch in den Unsicherheiten. Vielleicht sogar gerade dann. Lasst uns darauf vertrauen!

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Bilder: Dall-E, Canva, Privat.

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2 Kommentare

  1. Liebe Heiko, dein Blogartikel hat mich tief berührt. Du schreibst so einfühlsam und emotional. Deine Tipps sind sehr hilfreich, die ich auch anwende. Nichts ist sicher, außer der Tod. Je mehr wir kontrollieren, desto größer wird die Unsicherheit.

    Herzliche Grüße von Anita ❤️🙋🏼‍♀️

    1. Liebe Anita,
      hab ganz herzlichen Dank für deinen Kommentar.
      Darin, zu akzeptieren, dass Loslassen Freiheit bedeutet und Kontrolle letztlich gar nicht möglich ist und uns nicht gut tut, werde ich mich wohl mein Leben lang üben dürfen/müssen/können. Aber es ist soooo wahr.

      Alles Liebe
      Heiko

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