Stell dir vor, du könntest einen direkten Beitrag zur medizinischen Forschung leisten, einfach indem du Informationen teilst. Das ist die Vision hinter dem „Kabuki Count“, einer globalen Initiative, die darauf abzielt, Menschen mit Kabuki-Syndrom weltweit zu erfassen und zu vernetzen.
Doch was genau ist der Kabuki Count und warum ist er so wichtig? Ich teile hier unsere persönliche Geschichte mit dem Kabuki-Syndrom mit Dir. Und nehme Dich mit in die Frage, was genau Kabuki eigentlich ist, warum es mehr Aufmerksamkeit verdient und wie du konkret helfen kannst neue Türen für Betroffene zu öffnen.
Kabuki – unsere Familiengeschichte
Geburt mit anschließendem Chaos
Dezember 2017. Mitten in der Nacht weckt mich der Anruf vom Krankenhaus: „Es geht los, machen sie sich gleich auf den Weg.“ Ich brauche etwas, um die Nachricht trotz schlaftrunkenem Hirn zu verarbeiten. Dann mache ich mich schnellstmöglich auf den Weg. Jetzt ist es tatsächlich so weit. Sohn 02 wird geboren. Wird auch Zeit. Er ist lange über Termin und selbst die Maßnahmen zur Einleitung haben ihn bisher bemerkenswert unbeeindruckt gelassen.
Als ich ankomme, ist der Eingangsbereich des kleinen Krankenhauses wie ausgestorben. Ich soll direkt in den OP-Bereich kommen. So viel habe ich vom Telefonat noch im Ohr. Wie ich genau dahin komme, ist leider nicht bis ins Kurzzeitgedächtnis durchgedrungen … von daher sehe ich mehr vom Krankenhaus, als ich eigentlich wollte, bis ich endlich ankomme.
Während ich mich noch suchend nach jemandem umschaue, der/ die mir sagen kann, wo ich jetzt Frau und Sohn finde, kommt mir schon eine Schwester mit dem in ein Tuch gewickelten niedlichsten Etwas entgegen, das ich seit langem gesehen habe. Da ist er. Sohn 02 – willkommen auf der Welt und in unserer Familie. Ich darf ich gleich auf den Arm nehmen und es geht im Aufzug hoch auf Geburtsstation.
Oben nimmt die Schwester mir das Kind wieder ab und ich sinke glückselig auf einen Stuhl. Das Glück währt aber nicht lange. Ich höre die Schwester sagen: „Herr Metz, schauen sie mal hier. Irgendwas stimmt hier nicht.“ Ich komme schauen und während sie mir zeigt, was ihr komisch vorkommt, schrillt ein Alarmton los. Sinkenden Sauerstoffsättigung. Mit einem Mal ist der Raum voller Menschen – keine Ahnung, wo die hergekommen sind. Alle sind besorgt aufgeregt und schieben mich zur Seite. Und gefühlte Sekunden später ist ein Säuglings-RTW aus der nahen Uniklinik mit noch mehr Menschen eingetroffen. Zack, liegt das Kind in einem fahrbaren Kasten, überall sind Schläuche und im Rausgehen ruft mir jemand zu, dass ich hinter dem Krankenwagen herfahren soll. Meine Frau würde dann später ein anderer Krankenwagen nachbringen.
Ich fahre dem Krankenwagen stumpf hinterher. In mir überschlagen sich Gedanken und Gefühle. Nach gut drei Stunden Wartezeit vor der Intensivstation darf ich zum Sohn. Und während ich den kleinen Kerl in diesem durchsichtigen Kasten anschaue und ich einen tiefen Schmerz spüre, dass ich ihn nicht in den Arm nehmen kann, erzählt mir eine Ärztin, was sie bislang festgestellt haben. Und das ist eine Menge. Viel mehr, als ich gerade fassen kann. Am Ende verlasse ich die Intensivstation mit dem sicheren Gefühl: „Das kann der Sohn nicht überleben. Wir müssen uns verabschieden, bevor wir uns kennenlernen können.“
Kabuki – Was genau ist das denn?
Gott sei Dank (und das meine ich im wahrsten Sinne des Wortes) mussten wir uns nicht direkt wieder verabschieden. Sohn 02 übersteht unzählige OPs, Krankenhauszeiten und Ärzte-Marathons. Irgendwann darf er sogar wirklich und endlich nach Hause.
Was aber länger offen bleibt, ist die Frage, was er denn jetzt eigentlich genau „hat“. Es ist klar: Er hat viele Baustellen, verschiedene Fehlbildungen und es werden noch einige Operationen kommen. Zuerst beschreiben die Ärzt:innen das Ganze als VACTERL-Assoziation. Das ist – wie wir später erfahren – so was wie ein Sammelbegriff für verschiedene Fehlbildungskombinationen bei Neugeborenen (mindestens drei der folgenden: Wirbeldefekte, Analatresie, Herzfehler, Tracheo-Ösophagealfistel, Nierenfehlbildungen und Fehlbildungen der Gliedmaßen).
Erst einige Zeit später haben wir einen Termin bei einem Genetiker. Der schaut sich Sohn 02 nur Sekunden an und verkündet dann: „Ganz eindeutig. Das ist das Kabuki-Syndrom.“
Das Kabuki-Syndrom, benannt nach den traditionellen japanischen Kabuki-Theater-Masken, wurde erstmals in den 1980er Jahren beschrieben. Die Gesichtszüge von Betroffenen ähneln denen der Kabuki-Masken deutlich.
Kabuki ist eine genetische Störung, die durch Veränderungen in den KMT2D- oder KDM6A-Genen verursacht wird. Zu den Symptomen des Kabuki-Syndroms gehören:
- Auffällige Gesichtszüge
- Gaumen-, Lippenspalte
- Entwicklungsverzögerungen und intellektuelle Beeinträchtigung
- Wachstumsverzögerung und Gedeihstörung in der Säuglingszeit
- Skelettanomalien
- Hörprobleme
- Sehprobleme
- Herzfehler
- Organische Fehlbildungen
- Immunsystem-Probleme
- Überstreckbarkeit der Gelenke, muskuläre Hypotonie
Diese Symptome kommen in verschiedener Ausprägung vor und müssen nicht alle miteinander bei jedem/r Betroffenem/r vorkommen.
Für uns wäre es sehr, sehr hilfreich gewesen, früher zu wissen, was genau Sohn 02 so stark behindert. Das hätte für unsere Vorbereitung auf das Kommende, unserem Umgang mit Kind und Krankheit und auch für die behandelnden Ärzt:innen und Therapeut:innen ziemlich geholfen.
Wie viele Menschen haben die Diagnose „Kabuki“?
Das ist leider gar nicht so einfach zu beantworten. Sicher ist: Das Kabuki-Syndrom kommt sehr selten vor, es gehört zu den „rare diseases“. Landläufig wird seine Häufigkeit mit etwa 1 zu 32.000 Geburten angegeben.
Begründete Schätzungen der Kabuki Syndrome Foundation legen allerdings nahe, dass die Zahl weitaus höher ist. Denn die Häufigkeit von 1:32.000 stammt aus einer kleinen Studie aus dem Jahr 1988. Das war noch bevor die Kabuki verursachenden Gene überhaupt entdeckt wurden.
Seitdem hat es zwar verschiedene, meist nationale Studien zum Thema gegeben, aber eine Vergleichbarkeit oder gar Verallgemeinerung ist kaum möglich, da die Untersuchungsdesigns sich zu stark voneinander unterscheiden. Zumindest mit Blick auf aktuellere und genauere Zahlen von Betroffenen insgesamt bringen diese Studien also leider wenig.
Dazu kommt, dass die Diagnose gar nicht so leicht ist (es sei denn, man ist Genetiker ;-)). Da die Symptome zahlreich sind und in Vorkommen und Ausprägung variieren und Kabuki bei vielen Ärzt:innen wenig bis gar nicht bekannt ist, dürfte die Dunkelziffer von Menschen mit Kabuki aber ohne Kabuki-Diagnose recht hoch sein.
Warum ist es überhaupt wichtig, wie viele Betroffene es gibt?
Letztlich ist die Rechnung einfach. Je mehr Betroffene es nachweislich gibt, desto eher:
- ist gute Forschung möglich,
- sind Menschen/Institutionen/Staaten bereit, Geld für Forschung und Behandlung bereitzustellen,
- lassen sich Therapieansätze entwickeln, die Symptome besser behandeln können und damit Lebensqualität erhöhen,
- lässt sich Öffentlichkeitsarbeit bei Ärzten etc. machen, damit das Kabuki-Syndrom schneller erkannt wird und Menschen (früher) die passende Unterstützung und Behandlung erfahren.
Aktuell gilt Kabuki als so selten, dass all das kaum passiert. Es gibt noch nicht einmal einen ICD-10-Code dafür. Fast alle Forschungsbemühungen der Kabuki Syndrome Foundation sind deswegen beispielsweise spendenfinanziert.
Dabei gäbe es viel herauszufinden und mehr über evtl. Behandlungsmöglichkeiten herauszufinden, die die Lebensqualität von Betroffenen deutlich verbessern könnten.
Auf den Spuren eines genetischen Geheimnisses: Professor Bernd Wollnik und Kabuki
Einer, der sich dieser Herausforderung mit Hingabe stellt, ist Professor Bernd Wollnik, Leiter des Instituts für Humangenetik an der Universität Göttingen. Seit 2012 erforscht er die genetischen Ursachen seltener Erkrankungen. Dabei spielt das BMBF-geförderte Netzwerk FACE und der Forschungsverbund ERARE CRANIRARE-2 eine große Rolle.
Stell dir vor, du hättest die Teile eines großen Puzzles vor dir und müsstest diese zusammenfügen, ohne das Bild zu kennen. So ähnlich scheint mir die Suche nach den Ursachen genetischer Erkrankungen zu sein. Dabei finde ich es immer wieder erstaunlich, wie kleinste Veränderungen in unserer DNA große Auswirkungen auf unser Leben haben können.
Kabuki-Syndrom: Ein Rätsel wird entschlüsselt
Besonders faszinierend finde ich – wär hätts gedacht – die Fortschritte, die sein Team beim Verständnis des Kabuki-Syndroms gemacht hat. Professor Wollniks Team hat kürzlich zwei neue Puzzleteile entdeckt: die Gene RAP1A und RAP1B. Diese Gene spielen eine entscheidende Rolle in der Entwicklung des embryonalen Schädelskeletts und beeinflussen wichtige Signalwege in unseren Zellen.
Was bedeutet das nun für Betroffene? Durch das Verständnis dieser Mechanismen können neue Therapieansätze entwickelt werden, um die Symptome des Kabuki-Syndroms zu behandeln. Die Forschungen eröffnen nicht nur neue therapeutische Perspektiven, sondern verbessern auch unser generelles Verständnis für die Funktionsweise unseres genetischen Codes.
Da geht also was. Davon braucht es viel mehr!
Der Kabuki Count: Eine weltweite Initiative verbindet Betroffene
Stellt dir vor, es gäbe eine Möglichkeit, jeden einzelnen Menschen zu zählen, der vom Kabuki-Syndrom betroffen ist – weltweit. Genau das macht der „Kabuki Count“. Diese globale Volkszählung dient dazu, Menschen mit Kabuki-Syndrom zu identifizieren und zu vereinen, unabhängig von ihrem Wohnort, ihrer Ethnie oder ihrem Alter.
Zusammen stärker
Die Idee hinter dem Kabuki Count ist einfach: Je über die Verbreitung des Syndroms bekannt wird, desto besser lassen sich die Bedürfnisse der Betroffenen verstehen und unterstützen. Diese Initiative der Kabuki Syndrome Foundation bietet eine zentrale Plattform, die aufzeigen soll, wie viele Menschen weltweit vom Kabuki Syndrom betroffen sind.
Entwickelt wurde der Kabuki Count, um möglichst zugänglich und nachhaltig zu sein. Er stellt sicher, dass die Informationen aktuell bleiben und sowohl von Betroffenen als auch von Forschungspartnern leicht eingesehen werden können.
Damit ist der Kabuki Count nicht einfach nur eine Zählung, sondern auch ein Werkzeug, das Forschung und medizinische Fortschritte vorantreiben kann. Die Ergebnisse könnten die Art und Weise, wie wir das Kabuki-Syndrom verstehen und behandeln, revolutionieren, indem sie z.B. Einblicke in die geografische und demografische Verteilung der Erkrankung bieten und aufzeigen, wie weit verbreitet diese Behinderung tatsächlich ist. Es geht also nicht nur um Zahlen – sondern um den Schlüssel zur Verbesserung des Lebens vieler Menschen.
Forschung und Vernetzung leicht gemacht
Ein weiterer Vorteil des Kabuki Count ist die Möglichkeit für Betroffene, direkt an Forschungsprojekten und klinischen Studien teilzunehmen. Dieser einfache und schnelle Zugang zur Teilnahme an der Forschung macht den Kabuki Count zu einem wertvollen Instrument für medizinische Durchbrüche.
Der Kabuki Count: Mehr als nur Zahlen
- Der Kabuki Count hilft Forschern, Muster und Trends in den Daten zu erkennen. Dies führt zu einem tieferen Verständnis der Krankheit und bildet die Basis für personalisierte Therapieansätze und verbesserte medizinische Versorgung.
- Die gewonnenen Informationen erleichtern es, medizinische Fachkräfte umfassend zu informieren und zu schulen, um die bestmögliche Unterstützung für Menschen mit Kabuki-Syndrom zu gewährleisten.
- Durch den Kabuki Count entsteht eine vernetzte Gemeinschaft aus Familien, Ärzten und Forschern. Der Austausch von Erfahrungen und Wissen fördert nicht nur die Solidarität, sondern bietet auch eine unterstützende Plattform für Betroffene.
- Er spielt eine entscheidende Rolle bei der Aufklärung der Öffentlichkeit über das Kabuki-Syndrom. Die erhöhte Sichtbarkeit hilft, Vorurteile abzubauen und das Verständnis für die Bedürfnisse von Menschen mit dieser genetischen Erkrankung zu vertiefen.
Aktualisiere die Statistik, beeinflusse die Forschung: Warum deine Teilnahme am Kabuki Count zählt
Wusstest du, dass 1 von 32.000 Menschen das Kabuki-Syndrom hat? Diese Statistik mag beeindruckend sein, aber sie stammt aus dem Jahr 1988 – einer Zeit, bevor die Gene identifiziert wurden, die für das Kabuki-Syndrom verantwortlich sind. Die Aktualisierung dieser Daten ist heute wichtiger denn je, insbesondere um die Vorbereitungen für klinische Studien voranzutreiben.
Jetzt ist der perfekte Moment für ein Update
Mit der globalen Volkszählung des Kabuki-Syndroms, dem Kabuki Count, haben Betroffende, Ärzt:innen und Forscher:innen die Chance, präzise Daten zu sammeln, die zeigen, wie viele Familien wirklich betroffen sind. Je mehr Menschen dokumentiert werden können, desto attraktiver wird das Kabuki-Syndrom für Forscher:innen, Pharmaunternehmen, Gesundheitsministerien und Spender:innen – nur so können (schneller) Behandlungen gefunden werden!
Deine Hilfe ist gefragt!
Bist du bereit, einen Beitrag zu leisten? Deine Teilnahme kann wirklich einen Unterschied machen. Lass uns gemeinsam dafür sorgen, dass die Daten zum Kabuki-Syndrom nicht in der Vergangenheit verbleiben, sondern Betroffene und deren Familien in eine hoffnungsvollere Zukunft führen.
Deshalb:
- leite den Beitrag an möglichst viele Menschen weiter,
- teile ihn auf Social Media,
- stell den Link in deinen WhatsApp-Status,
- …
Je mehr Menschen vom Kabuki-Count erfahren, desto mehr Betroffene hören davon und können sich zählen lassen.
Bist du dabei? Unsere behinderte Familie sagt: Herzlichen Dank!
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Bilder: privat, Dall-E, Canva.
Quelle Titelbild: Kabuki Count.
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Lieber Heiko, dein Beitrag hat mich so emotional berührt. Ich habe ihn mit Interesse und Spannung gelesen.
Es ist klasse, wie du das meisterst und deine Erfahrungen teilst.
Wunderbar, wie du dich für dieses Thema einsetzt, Respekt.
Weiterhin viel Erfolg und alles Gute.
Herzliche Grüße von Anita
Hey Anita,
vielen Dank fürs Lesen und Berühren-Lassen!
Gruß
Heiko
Wow, vielen Dank, davon wusste ich gar nicht. Sehr wichtiges Thema. Berührend und informativ geschrieben. Man kommt leicht zum Counting.
Vielen Dank Dir, liebe Andrea!