Ein Psalm von Eltern behinderter Kinder

Kategorisiert in Burning on, Familie mit Behinderung, Inklusive Kirche
Ein Psalm von Eltern behinderter Kinder – heiko Metz

„Leider haben wir keine Betten frei, wir müssen die OP auf nächste Woche verschieben.“ Dieser kurze Anruf aus dem Krankenhaus lässt unsere Welt zusammenbrechen. Mal wieder.

Als Eltern eines Kindes, das vom Kabuki Syndrom betroffen ist, als Eltern unserer behinderten Familie, ist unser Leben neben allen lustigen, herzerwärmenden und einfach nur schönen Momenten mit unseren Jungs, geprägt von einer Reihe Herausforderungen. „Challenges“, wie man das neudeutsch nennt, die schnell ziemlich stressig, überfordernd und auslaugend werden. Und die bleiben. Für immer quasi.

Natürlich gibt es – relativ gesehen – ruhiger Phasen und dann wieder stressigere. Und es gibt Stressspitzen. Wie diesen Anruf aus dem Krankenhaus. Warum uns das so aus der Bahn wirft?

Es ist die dritte OP zum selben Thema in diesem Jahr. Besserung bisher nicht wirklich in Sicht. Narkosen wirken sich potenziell schädlich auf andere Symptome der Behinderung von Sohn 02 aus. Grundsätzlich setzen OPs bei uns viel emotionales in Gang, weil sie uns an lange Krankenhausaufenthalte und lebensgefährliche Situationen erinnern. Meine Frau arbeitet, ich erhole mich grade so halbwegs von einem Burn-out (der sich zu nicht unwesentlichen Teilen aus unserer Situation speist), Sohn 01 hat Sommerferien. Für den eigentlichen OP-Termin war alles passend hin organisiert (mit einigem Aufwand). Und jetzt wird der Termin einen Tag vorher verschoben. Und wir wissen, dass es ab jetzt wieder chaotisch, stressiger und dadurch anstrengender werden wird, als es sowieso schon war.

Und das ist nur eine Stressspitze der letzten Tage. Unser Leben ist also insgesamt gar nicht so unstressig. Einen Weg damit umzugehen, habe ich nicht selbst erfunden, sondern von den biblischen Psalmdichtern abgekupfert. Hilft mir trotzdem (oder gerade deswegen) sehr. Vielleicht hilft es dir ja auch?

Dies ist mein Beitrag zur Blogparade „Was ist Stress für Dich?“ von Dr. Renata Mauz.

Heikos Newsletter – jetzt abonnieren

Psalmcollage einer behinderten Familie

Die Psalmen sind eine Sammlung von Liedern, die die Erfahrung der Menschen im Israel vor ein paar tausend Jahren mit Gott besingen, oder sich betend an ihn wenden. Und das in allen Situationen des Lebens. Brutal offen, ehrlich und oft mit deftiger Wortwahl.

Meine Erfahrung ist: Egal, wie es mir gerade so geht, und auch egal, ob ich das gut ausdrücken kann oder um Worte ringe, um auszudrücken, wie es mir geht: Ich habe in den Psalmen bisher immer Erfahrungen gefunden, die meiner irgendwie ähneln. Habe dort immer Worte gefunden, die ich mir leihen konnte, um zu beschreiben, was mich gerade bewegt. Und sie haben mir immer geholfen, die Hoffnung auf einen Gott, der da ist, ansprechbar ist und mitleidet, nicht aus den Augen zu verlieren.

Dazu habe ich in meiner Burn-out-Reha 2024 sogar begonnen, Psalm-Collagen zusammenzustellen. Eine unglaublich entlastende, hilfreiche, sprachfähig machende Sache. Dabei ist z. B. mein „Psalm eines Ausgebrannten“ herausgekommen.

Genau das habe ich auch für unser Erleben als Eltern eines behinderten Kindes und all den damit einhergehenden Stress getan. Folgende Psalmverse sind mir dabei ins Auge und Herz gesprungen:

Klage:

  • „Wie lange, HERR, willst du mich so ganz vergessen? Wie lange verbirgst du dein Antlitz vor mir?“ (Psalm 13,2)
  • „Ich bin niedergedrückt, tief gebeugt, den ganzen Tag gehe ich traurig umher.“ (Psalm 38,7)
  • „Meine Tränen sind meine Speise Tag und Nacht, weil man täglich zu mir sagt: Wo ist nun dein Gott?“ (Psalm 42,4)
  • „Ich bin elend und voller Schmerzen; deine Hilfe, Gott, schütze mich!“ (Psalm 69,30)
  • „Meine Seele ist voll von Sorgen, mein Leben nahe dem Totenreich.“ (Psalm 88,4)
  • „Herr, warum stehst du so fern, verbirgst dich zur Zeit der Not?“ (Psalm 10,1)
  • „Ich bin matt geworden vom Seufzen, ich schwemme mein Bett die ganze Nacht, netze mit meinen Tränen mein Lager.“ (Psalm 6,7)
  • „Meine Augen sind schwach geworden vor Gram; ich bin alt geworden wegen all meiner Feinde.“ (Psalm 6,8)
  • „Ich bin wie ein zerbrochenes Gefäß geworden.“ (Psalm 31,13)
  • „Ich versinke in tiefem Schlamm, wo kein Grund ist; ich bin in tiefe Wasser geraten, und die Flut will mich ersäufen.“ (Psalm 69,3)

Hoffnung

  • „Ich aber vertraue auf deine Güte; mein Herz soll sich freuen über dein Heil.“ (Psalm 13,6)
  • „Herr, du hast mein Klagen in Tanzen verwandelt, du hast mein Trauergewand gelöst und mich mit Freude umgürtet.“ (Psalm 30,12)
  • „Die auf den HERRN harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler.“ (Psalm 103,5)
  • „Der HERR ist nahe allen, die ihn anrufen, allen, die ihn ernstlich anrufen.“ (Psalm 145,18)
  • „Ich will den HERRN loben allezeit; sein Lob soll immerdar in meinem Munde sein.“ (Psalm 34,2)
  • „Der Herr ist mein Hirte; mir wird nichts mangeln.“ (Psalm 23,1)
  • „Du hast mein Leben aus dem Grab heraufgezogen, HERR, mein Gott, als ich unter den Toten lag.“ (Psalm 30,4)
  • „Der HERR heilt die zerbrochenen Herzen und verbindet ihre Wunden.“ (Psalm 147,3)
  • „Meine Seele kehrt zurück zum Herrn; ich werde hoffen, solange ich lebe.“ (Psalm 42,6)
  • „Du wirst mich auf dem rechten Weg leiten und mich mit deinem Rat führen, und danach wirst du mich mit Herrlichkeit umhüllen.“ (Psalm 73,24)

Daraus könnte ich eine Psalmcollage erstellen, die die ursprünglichen Verse erhält. In diesem Fall habe ich beschlossen, aus den alten Worten neue zu machen. Ganz neue Psalmen sozusagen:

Psalm: Du bist da, auch wenn ich dich nicht sehe

Manchmal frage ich mich, Herr,
wo du bist.
Warum so fern?
Warum so still,
wenn ich dich so dringend brauche,
wenn mein Kind dich so dringend braucht?
Die Last ist schwer,
mein Herz schwerer noch,
wenn ich in die Augen meines Kindes sehe
und keine Antwort finde.

Ich weine in der Nacht,
mein Kind schläft unruhig,
die Sorgen halten mich wach.
Was wird morgen sein?
Was bringt die Zukunft?
Die Tränen, sie trocknen nicht,
mein Herz, es seufzt,
und die Müdigkeit,
sie schleicht sich in jede Falte meines Lebens.
Ich wünsche mir so sehr,
dass du uns näher kommst,
dass du uns siehst,
mit all unserer Sehnsucht nach Frieden.

Manchmal fühle ich mich zerbrochen,
so wie mein Kind,
das kämpft und ringt,
mit einer Welt, die nicht gemacht ist
für das, was es braucht.
Ich stehe im Schlamm der Sorgen,
versinke tiefer und tiefer,
die Flut der Angst will mich mitreißen.
Und doch muss ich stark sein,
für mich, für mein Kind,
aber woher, Herr, woher nehme ich die Kraft?

Und doch,
da ist etwas,
ein leises Flüstern,
ein sanfter Hauch,
der mir sagt,
du bist da,
auch wenn ich dich nicht sehe.
Du bist der Hirte,
der mein Kind führt,
auch durch die dunklen Täler.
Du hältst uns beide,
wenn wir am Rande stehen.

Du ziehst uns heraus,
aus der Tiefe,
aus dem Abgrund der Verzweiflung,
und du schenkst Heilung,
nicht nur den Wunden,
sondern auch der Seele.
Du legst deine Hand
auf das zerbrochene Herz meines Kindes,
und langsam,
ganz langsam,
füllt sich mein Herz mit Hoffnung.

Du bist der,
der alle Hoffnung erneuert,
der uns trägt,
wenn unsere Kraft versagt.
Du bist nahe,
wenn ich deinen Namen rufe,
du bist da,
in jedem Lächeln,
in jeder Geste,
in jedem Schritt, den mein Kind geht.

So werde ich warten,
in der Stille,
im Vertrauen,
auf deinen Rat,
auf deine Hand,
die uns führen wird.
Und eines Tages,
werde ich sehen,
dass du uns die ganze Zeit getragen hast,
mich und mein Kind,
unsere behinderte Familie.

Gehörst du selbst zu den pflegenden Eltern? Kannst du Teile dieses Psalms mitsprechen? Unsere Erfahrung, unsere Gründe zu klagen und unsere Hoffnung, trifft er ganz gut.

Kennst du behinderte Familien? Kannst du dich mit diesem Psalm ein wenig in sie hinein versetzen?

Natürlich geht durch diese Worte der Stress nicht weg. Auch nicht, wenn ich sie als Gebet spreche. Aber sie machen mich sprach- und handlungsfähig, gerade dann, wenn Stress und Überforderung die Kontrolle zu übernehmen drohen. Das allein ist Gold wert.

Und sie verbinden mich neu mit Gott. Der Quelle von Liebe, Hoffnung und neuer Perspektive. Das ist tatsächlich nicht zu bezahlen.

Das war spannend? Dann lies mal DAS hier:

Bilder: Dall-E, Canva.

Manchmal enthält dieser Blog Links zu Amazon. Wenn du über diese Links einkaufst, bekomme ich eine kleine Provision, ohne dass es dich einen Cent mehr kostet. Du unterstützt mich damit – vielen Dank dafür!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner