Wir leben in unserer Gesellschaft in einer Tyrannei des Unmöglichen. Eine drogenabhängige Frau, ein gewalttätiger Mann, ein Schulsystem, in dem die Leistungen der Schüler chronisch viel zu schlecht ausfallen, der wachsende Graben zwischen Arm und Reich, ein Wirtschaftssystem, das auf fossile Brennstoffe setzt und seine natürliche Umwelt zerstört … Es mag so scheinen, als könnten wir keines dieser Probleme beeinflussen, als wäre es unmöglich daran etwas zu ändern.
Aber – und das ist meine feste Überzeugung – wenn das Reich Gottes Wirklichkeit ist, dann löst sich das Wort „unmöglich“ in Rauch auf und seine Tyrannei über uns hat ein Ende.
Wunderklumpen
Genau solche eigentlich unmöglichen Erfahrungen bilden rund um Jesus herum sozusagen Klumpen. Da werden Leute geheilt, frei von Geistern, arrogante Scheingläubige entlarvt und Jesus als Sohn Gottes bekannt – eigentlich doch alles unmöglich.
Gleichnisse und Wunder weisen uns seit Jesus auf dieses Reich Gottes hin. Sie führen uns die Botschaft Jesus dramatisch vor Augen: Das Unmögliche wird jetzt möglich. Das Reich Gottes – und damit Friede, Heilung, Wohlbefinden, Menschenwürde und Freiheit – ist für erreichbar, hier und jetzt. Die Riegel werden aufgesprengt, die uns auf das mathematisch oder praktisch Mögliche einschränken wollen, die uns vorschreiben, was geht und was nicht. Sie schaffen Platz für den Glauben, dass etwas Neues, Beispielloses und bisher Unmögliches auf uns zukommt. Sie sagen uns, dass eine Macht der Hoffnung dabei ist, unsere Welt zu erobern. Dass es eine göttliche Verschwörung gibt, uns Gutes anzutun. Dass das Reich Gottes da ist und beginnt auf unsere Welt überzugreifen.
Herz-Hüpf-Momente
Ich liebe Momente, in denen ich in meinem Alltag diese Hoffnung aufblitzen sehe, mitbekomme, wie Unmögliches möglich wird. Feiern kann, wie etwas gut wird, heil und einfach so, wie es richtig ist.
Einen dieser Momente beschreibe ich hier. Auch als Beitrag zur Blogparade von Heidrun Brüning: Magic Moments: Was bringt mein Herz zum Hüpfen?
Reich Gottes praktisch
Wie kann das praktisch aussehen, wenn das Reich Gottes beginnt auf unsere Welt überzugreifen – wenn man die Macht der Hoffnung spürt und greifen kann? Dazu ein Beispiel aus der Arche in Düsseldorf, die ich einige Jahre leiten durfte:
Das ist Ben
Frühstücksangebot an einer Düsseldorfer Schule am frühen Montagmorgen. Gut 20 Kinder frühstücken gemeinsam mit den Mitarbeitern der Arche, erzählen von ihrem Wochenende und dem anstehenden Test diese Woche, schwärmen von den Herbstferien und sind insgesamt guter Dinge. Mitten in die angeregte Unterhaltung (gerade geht es mal wieder um den besten Fußballverein, also die Frage, ob man überhaupt Fan einer anderen Mannschaft sein darf, als von Fortuna 95) hört man eine laute, helle Jungenstimme schon von weit draußen vom Schulhof rufen: „Heiko – ich komme!“ „Ah, Ben (Name geändert) kommt“, sagen einige der Kids am Frühstückstisch sofort fachmännisch und wenden sich wieder ihrem Brötchen zu.
Und dann ist er da. In voller Größe und Lautstärke. Ben hüpft in den Raum, die Umhängetasche unter die Schulter geklemmt und eine eingerissene Gürteltasche mit den wichtigsten Utensilien vor dem Bauch. Eingepackt in eine fleckige Jacke, die Brillengläser leicht beschlagen. Und schon liegt er mir im Arm. „Hast du mich vermisst, Heiko?“
Schwups, springt er auf, um Taschen und – nach mehrmaliger Bitte auch die Jacke – abzulegen und sich mit allem einzudecken, was er für ein leckeres Frühstück braucht.
Als die Frühstückszeit um ist, macht sich Ben auch auf den Weg in seine Klasse. „Bis später!“, verkündet er grinsend, gefolgt von einem allmorgendlichen „Fährst du mich bis in meine Klasse? An meinen Tisch? Keine Lust zu laufen!“ Dann ist er weg.
Beim Mittagessen in der Arche schaut er mich mit großen Augen an und sagt: „Weißt du noch, heute Morgen?! Das war das beste Frühstück!“ – ein fast tägliches Ritual.
Ben ist 12 Jahre alt. Zur Arche kommt er „seit es sie gibt“, wie er neuen Kindern immer wieder stolz verkündet – d. h. seit er 8 Jahre alt ist.
Er hat eine große Familie mit vielen Geschwistern. Er ist der zweitjüngste in der Geschwisterreihe und hat seine liebe Mühe sich gegen die großen durchzusetzen zu Hause – zumal es an Platz fehlt und sich einige Kinder jeweils ein Zimmer teilen. Der Vater arbeitet viel und lang, um die Familie irgendwie versorgen zu können. Die Mutter managt die Familie so gut sie kann. Trotzdem ist vieles schwierig. Es fehlt immer und überall an Geld. Die Mutter kann sich nur schwer von ihrer eigenen Kindheit und den Dingen lösen, die ihr darin widerfahren sind und sie geprägt haben. Besser als ihre Mutter will sie es machen – und das tut sie auch. Aber es ist schwer und mühsam und oft einfach zu viel, neben den Problemen und Anforderungen des Alltags für alle Kinder da zu sein und sich um alles so zu kümmern, wie es gut und richtig und wünschenswert wäre.
Als Neugeborenes führte ein Unfall dazu, dass Ben am Kopf verletzt wurde und schwere Atemprobleme hatte – ein langer Klinikaufenthalt gleich zu Beginn seines Lebens war die Folge. Bedingt durch diesen Unfall – und sicher auch andere Faktoren – hat Ben Probleme sich zu konzentrieren, kann sich kaum Dinge merken und es fällt ihm schwer, Zusammenhänge zu verstehen und Erklärungen zu folgen.
Engagement, das verändert
Einmal sitzen wir im KidsCafe am Weihnachts-Wunschzettel-Tisch, an dem die Kinder ihre Weihnachtswünsche aufschreiben und malen können, damit wir sie – in Zusammenarbeit mit Firmen und vielen tollen Menschen – zur großen Arche-Weihnachtsfeier erfüllen können. Ich erkläre Ben, was zu tun ist. Er kann sich kaum auf mich konzentrieren, weil er zu sehr damit beschäftigt ist, sich zu freuen.
Deswegen unterbricht er meine Erklärungen immer wieder mit Ausbrüchen, wie „Darf ich mir echt was wünschen?“, „Und wenn ich mir jetzt was wünsche, dann kauft mir das jemand?“, „Krieg ich das dann auch ganz bestimmt, wenn ich mir das jetzt wünsche?“, „Wann krieg ich das dann? Wann ist die Weihnachtsfeier? Warum ist die noch nicht morgen, oder jetzt?“, „Und ich darf mir jetzt echt was wünschen? Einfach so?“ … Er bekommt einen Wunschzettel und ich zeige ihm, wo er seinen Namen und sein Alter hinschreiben soll – und wo er aufmalen kann, was er sich wünscht. Ich drücke ihm einen Stift in die Hand und sage: „Los gehts“. Ben schaut mich an, schaut auf den Wunschzettel und fragt: „Was soll ich nochmal machen, Heiko?“
Dadurch fällt es ihm schwer bis unmöglich in der Schule mitzukommen, sodass er trotz des Besuchs einer Lernförderschule nicht recht mithalten kann, er z. B. mit 10 Jahren de facto nicht lesen oder schreiben kann.
Eine der ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen im Hausaufgabenbereich hat Ben schon nach kurzer Zeit ins Herz geschlossen und sieht ganz viele Fähigkeiten in ihm schlummern, die es herauszukitzeln gilt. Vor allem will sie nicht einfach so akzeptieren, dass Ben anscheinend nicht lesen und schreiben lernt. Also beschließt sie, mehr zu investieren und besucht die Arche über einen langen Zeitraum zusätzlich zu ihrem Engagement im Hausaufgabenraum an zwei Nachmittagen, um sich ausschließlich um Ben zu kümmern und mit ihm Lesen und Schreiben zu üben.
Sie stellt fest, dass Ben sich trotz eines Tickets für die öffentlichen Verkehrsmittel nicht traut, abseits des Schulwegs irgendwohin unterwegs zu sein, da er sich nicht auskennt und auch nicht lesen kann, wo er ist oder wo er hin müsste; dass es Ben schwerfällt, für die Mutter Einkäufe zu erledigen, weil er die Markennamen der Dinge, die er besorgen soll, nicht lesen kann und nicht bei allen Dingen abgespeichert hat, wie der Schriftzug aussehen muss, damit es der richtige ist. Genau hier setzt sie an und übt mit großer Geduld und noch mehr Einsatz mit Ben, bis er es kann.
Als wir in den Sommerferien zu einem Ausflug unterwegs sind, kommen zwei Kinder zu mir und beschweren sich „Der Ben nervt!“. „Was macht er denn?“ „Der sagt die ganze Zeit, was auf den Schildern steht.“ Ich werde nicht ganz schlau aus dieser Aussage und schaue mich nach Ben um. Wir laufen ein wenig nebeneinander her und er ist nicht mehr zu bremsen: „Heiko, auf dem Schild steht: Sonderangebot; und hier steht: Leichlinger Strasse – warum heißt das so, Heiko?; und da das Eis kostet 70Cent pro Kugel und es gibt …“ – er beginnt alle Eissorten der Eisdiele vorzulesen, die wir gerade passieren.
Ich weiß nicht, ob ich schon einmal ein stolzeres und glücklicheres Kind gesehen habe, als Ben beim Lesen von Schildern – ein unglaublicher Erfolg!
Vom Geist der Weihnacht
Als die Arche in der Weihnachtszeit mit einem professionellen Weihnachtsmusical kooperieren kann und sich die Chance ergibt, dass einige Kinder als Kinderschauspieler waren teilnehmen können, denken wir Archemitarbeiter:innen sofort an den musikalischen Ben. Natürlich ist er Feuer und Flamme. Der Gesang ist absolut kein Problem für ihn. Das Textlernen stellt schon eine größere Herausforderung dar, aber alle Mitarbeiter bekommen Bens Text und üben in jeder freien Minute mit ihm, bis alles sitzt.
Am schwierigsten fällt Ben, sich zu merken, wo er auf der großen Bühne mit den teilweise über 20 Darstellern wann wie zu stehen und sich zu bewegen hat, aber die Darsteller etc. des Musicals kümmern sich rührend um ihn und helfen, auch diese Hürde zu nehmen.
Am Ende steht Ben bei knapp 10 Aufführungen vor jeweils über 1000 Menschen auf der Bühne und singt und spielt. Ein Lebens-Highlight-Erlebnis für ihn, ein Booster für Selbstvertrauen und Zukunftsperspektive. Und viele Tränen bei der Mama und uns Mitarbeitenden.
Noch vor wenigen Monaten völlig undenkbar, war dieser Junge über sich hinaus gewachsen und konnte mit seinem Potenzial nicht nur glänzen, sondern unzählige Menschen erfreuen. Möglich war das, weil so viele geholfen, begleitet, unterstützt haben und die eine oder andere Extra-Meile gegangen sind. Weil sich ihm Menschen liebevoll zugewandt haben, ihn wertgeschätzt und gefördert haben.
Wunderwerk der Liebe
Das Weihnachtsmusical „Vom Geist der Weihnacht“ hat sich auch über Ben und die anderen Arche-Kids auf der Bühne sehr für die Arbeit der Arche engagiert und bei jeder Vorstellung Spenden gesammelt. Damit den Zuschauern deutlich wurde, was die Arche ausmacht, wurde ein eigenes Lied geschrieben, dass immer am Ende des Musicals gesungen wurde. Es drückt aus, wieso Kinder wie Ben eine Chance haben müssen und zeigt, wie viel Reich Gottes in dieser einen Kindergeschichte sicht- und spürbar wird. Wie hier etwas eigentlich Unmögliches möglich geworden ist, weil Gott es will und tut.
Das Video ist vom letzten Vorstellungsabend – und zeigt die Spendenübergabe und das besagte Lied.
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Bilder: Dall-E, Canva.
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