Immer locker bleiben

Kategorisiert in Familie mit Behinderung
Kinderwagen im Grünen

Wie aus einem schnöden Antrag zur Finanzierung eines Therapie-Kinderwagens eine never ending story wurde und warum wir dabei nur mit seeeeehr viel Mühe immer locker bleiben konnten.

Immer locker bleiben

Für Sohn 02 benötigen wir einen Therapie-Kinderwagen. Weil er aufgrund seiner Behinderung nicht gut schon gar nicht lang und absolut nicht sicher zu Fuß unterwegs sein kann. Jeder reguläre Kinderwagen bricht aber unter seinem Gewicht mittlerweile buchstäblich zusammen.

Eigentlich ein No-Brainer.

Also Gespräch mit dem Kinderarzt. Der schickt uns zum Sanitätshaus.

Gespräch im Sanitätshaus. Die machen wenig für Kinder. Sie bemühen sich, aber schnell ist klar: Eigentlich können sie uns nicht helfen. Aber vielleicht das Sanitätshaus 35 km entfernt.

Gespräch im zweiten Sanitätshaus. Die könnten uns zwar theoretisch helfen, wollen aber erst ein Rezept vom Kinderarzt. Der Kinderarzt meint, er kann das Rezept erst ausstellen, wenn das Sanitätshaus ihm sagt, was da genau verordnet werden muss. Das Sanitätshaus will aber erst mit der Arbeit beginnen, wenn ein Rezept vorliegt … Seufz.

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IMMER locker bleiben

Ein allgemeines Rezept ist geschrieben, ein Termin für eine Vermessung von Sohn 02 zur Angebotserstellung muss mehrmals verschoben werden. Krankheit hier, Krankheit dort … schließlich wird der Sohn vermessen und begutachtet. Dann warten wir.

Die Erstellung des Angebots zieht sich. Krankheit, Personalmangel. Muss man ja verstehen. Unser bisheriger Kinderwagen ist mittlerweile eigentlich nicht mehr nutzbar … ob wir jetzt doch noch einen neuen für den Übergang kaufen sollen?

Immer LOCKER bleiben

Juchhu! Das Angebot ist da und geht an die Krankenkasse.

Die berät sich mit sich selbst und kommt, nach längerem Überlegen, zu dem Schluss, dass sie das gar nicht beurteilen kann, ob wir diesen Wagen jetzt auch wirklich brauchen … und beauftragt den medizinischen Dienst mit einem Gutachten. Dass die Krankenkasse ja eigentlich das schon länger erstellte Gutachten des Medizinischen Dienstes vorliegen hat, aufgrund dessen wir Pflegegeld und entsprechende Leistungen der Pflegekasse für den Sohn erhalten – und die Begründung für die Notwendigkeit eines solchen Therapie-Kinderwagens darin enthalten ist, lassen wir mal kollektiv außen vor.

Der medizinische Dienst soll das irgendwie nach Aktenlage entscheiden … und kommt nach mehreren Wochen zu dem Schluss, dass er das auch nicht beurteilen kann. Dass der medizinische Dienst sein eigenes Gutachten zur Pflegebedürftigkeit des Sohnes wohl vorliegen haben sollte … geschenkt. Kurzum: Deswegen soll der Kinderarzt einen Fragebogen ausfüllen.

Immer locker BLEIBEN

Der ist auch wirklich bemüht, aber an dem Fragebogen verzweifelt er. Zuerst, weil ihm das Ding einfach untergeht. Krankheit, Personalmangel. Muss man ja verstehen. Und dann, weil er schlicht nicht weiß, was er in diesen Standardbogen, auf dem 3/4 der Fragen gar nicht auf unseren Sohn anwendbar sind, eigentlich Sinnvolles reinschreiben soll.

Der Fragebogen wird in lustigem Mail- und Telefon-Hin-und-Her zwischen Kinderarzt und uns ausgefüllt. Weil Kinderärzte neben ihrer eigentlichen Arbeit anscheinend noch mehr solcher eher sinnfreien Aufgaben bekommen, findet das Ganze immer abends so ab 21:30 Uhr statt, wenn dafür „endlich“ Zeit ist.

Mitten rein kommt die Nachricht der Krankenkasse: Antrag abgelehnt, weil die Frist zum Einreichen der Infos verstrichen ist – und deswegen ja niemand beurteilen kann, ob wir diese Kinderwagen jetzt wirklich …

IMMER LOCKER BLEIBEN 

… oder vielleicht doch mal gepflegt ausrasten? Nee – hilft ja nix.

Lieber ganz locker nen Widerspruch einreichen – zusammen mit dem mühsam erarbeiteten Fragebogen – und mal schauen, was passiert. Dazu bis auf Weiteres den Sohn tragen, weil der Kinderwagen sich nun endgültig verabschiedet hat. Und sich auf den nächsten Antrag freuen: Einen extra anzufertigenden Kindersitz fürs Auto bräuchten wir für den Sohn nämlich auch …

Was danach geschah

Das alles ist 2023 über einen längeren Zeitraum gestreckt passiert. Mittlerweile haben wir einen Therapiekinderwagen und einen passenden Kindersitz und sind sehr glücklich damit. Im Endeffekt wurde alles genehmigt und zum Großteil bezahlt. Der Wahnsinn bis zu diesem Ergebnis bleibt: Kinderarzt, Sanitätshaus, Krankenkasse und MDK sind mit zu wenig Menschen und zu viel Bürokratie und/oder eher unschnittigen Prozessen überfrachtet und überlastet. Menschen, die darauf angewiesen sind, dass unser System funktioniert, wie Sohn 02 (und wir im Gefolge) sind die Leidtragenden. Dass wir als Eltern an vielen Stellen arg herausgefordert werden, wenn es um nötige Unterstützung für unseren Sohn geht, daran habe ich mich gewöhnt. Dass aber Sohn 02 darunter auf verschiedenen Ebenen leiden muss, wo er es eh schon an vielen Stellen schwer hat und von Chancengleichheit und Inklusion ja eigentlich nur zu träumen ist, das ärgert mich dann doch ziemlich!

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Bild von Dirk (Beeki®) Schumacher auf Pixabay.

2 Kommentare

  1. Das Schlimme ist, dass so etwas STÄNDIG passiert. Ich habe in meinem Umfeld einige Personen, die Hilfeleistungen, sei es in Form von besonderer Ausstattung oder personeller Unterstützung, benötigen. Grundsätzlich erhält man erst mal ein Schreiben, dass irgendwas abgelehnt wurde. Nur damit die KK das am Ende dann doch genehmigt, wenn man Widerspruch einlegt … 🙄
    Freut mich, dass bei euch doch noch alles geklappt hat! 🙂

    1. Wir sind sehr dankbar für unsere Krankenkasse, da geht echt viel völlig ohne Widerspruch. Aber es gibt halt auch Situationen wie die beschriebene, wo einfach deutlich wird, dass unser ganzes Hilfesystem überlastet ist. Aber gleichzeitig ist es halt die einzige Chance für Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind. Mein Eindruck ist, dass wir als Gesellschaft da weitaus mehr Wert drauf legen sollten, dass Hilfe für alle so verfügbar und abrufbar ist, dass echte Inklusion und Teilhabe möglich ist.

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